Nun ist der neueste Vorstoß von Jens Spahn zum Intensivpflegestärkungs- und Rehabilitationsgesetz (IPReG) doch noch ans Licht der Öffentlichkeit gekommen. …
Und hat – sehr zu unserer Verwunderung – doch die unterschiedlichsten Reaktionen hervorgerufen. Eines war allerdings den meisten Veröffentlichungen, ob beispielsweise in Ärzteblatt (Ministerium streicht umstrittene Regelung bei Intensivpflege, 28.01.2020) oder Haufe online (Intensiv- und Reha-Patienten sollen vielleicht schon ab Sommer 2020 von dem neuen Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz profitieren, 30.01.2020) gemein:
Richtig gelesen haben das IPReG 2.0 wohl nur die wenigsten. Dabei tut genau das aber not, denn im neuen Entwurf, der immerhin ins Kabinett unserer Bundesregierung soll, steckt der Teufel im Detail. Interpretationsspielraum ist gegeben. Und genau das ist es auch, was erneut Ängste schürt und weiteren Widerstand nötig macht.
Auf den ersten Blick scheint die Unterbringung Betroffener in stationären Einrichtungen keinen Vorrang mehr zu haben. Im Gegenteil, laut §37 c ist den „Wünschen der Versicherten, die sich auf den Ort der Leistung richten zu entsprechen…“. Eingeschränkt wird diese Aussage allerdings in der Folge direkt durch die Worte „...soweit die medizinische und pflegerische Versorgung an diesem Ort tatsächlich und dauerhaft sichergestellt werden kann.“ Dabei sind – wie auch in den vorangegangenen Entwürfen – persönliche, familiäre und örtliche Umstände zu berücksichtigen.
Was sich ebenfalls nicht geändert hat, ist, wer letztlich über den Ort der Versorgung entscheidet. Wie auch bisher ist das nämlich der Krankenkassensachbearbeiter. Zwar gibt es nun keine Angemessenheitsprüfung mehr, bei den Einzelfallentscheidungen bleibt es aber in letzter Konsequenz. Denn nun besteht der Gesetzgeber auf regelmäßige, mindestens jährliche Überprüfungen der Versorgungen. Der Medizinische Dienst ist hier gefragt, vor Ort – nicht nach Aktenlage – muss dieser überprüfen, ob die Versorgung nun „tatsächlich und dauerhaft“ gewährleistet ist. Anhand des dann erstellten Gutachtens entscheidet die Kasse, ob die Häuslichkeit dann weiter bewilligt wird. Übrigens: Wer den MD (Medizinischen Dienst) nicht in die eigenen vier Wände einlässt, verliert möglicherweise seinen Anspruch auf außerklinische Intensivversorgung und wird schlimmstenfalls in eine stationäre Einrichtung oder spezialisierte Wohneinheit verbracht, in der dann eine Überprüfung möglich ist. In der Folge, kann sich also kein Betroffener mehr sicher fühlen. Denn, einen Pflegedienst zu finden ist schon heute schwierig. Einen Dienst zu finden, der eine Versorgung dauerhaft zusichern kann, wird sicher nicht einfacher werden. Ängste, Sorgen und Unsicherheiten auf allen Seiten – außer vielleicht den Kostenträgern – werden solchermaßen ebenfalls dauerhaft geschürt. Eine Frage, die sich aus dieser Regelung außerdem ergibt: Woher sollen den all die Gutachter beim MD kommen, auch dieser leidet nämlich schon seit langem unter einem Fachkräftemangel.
Ein Bestandsschutz wie in IPReG 1.0 ist in IPReG 2.0 nicht mehr vorgesehen. Die bereits nach bisheriger Rechtsprechung in der Häuslichkeit versorgten Betroffenen würden direkt nach Inkrafttreten des Gesetzes – sollte es tatsächlich durch das Gesetzgebungsverfahren gewinkt werden – ebenfalls unter die neue Regelung fallen. Wie vieles andere an dem neuen Entwurf ist dieser Punkt diskutabel. Denn, üblicherweise darf niemand durch eine neue Gesetzgebung schlechter gestellt werden als vorher.
Auch die Argumentation hat sich verändert: Als neues Schlagwort taucht in IPReG 2.0 regelmäßig „Allokation“ auf – ein anderes Wort für die Umverteilung von Ressourcen wie wirtschaftlichen Mitteln, Fachkräften und ähnlichem. In der Begründung von IPReG 2.0 wird also deutlich worum es tatsächlich geht; nämlich um die Umverteilung von Pflegekräften aus der außerklinischen, ambulanten personalintensiven Intensivpflege in stationäre Einrichtungen.
Gleich geblieben ist im neuen Entwurf außerdem die Verpflichtung von Pflegediensten Kooperationsverträge mit Fachärzten und Therapeuten zu schließen. Neben einem Fachärztemangel, der in allen Landesteilen, ob Stadt oder Land, vorherrscht, wird hierdurch die freie Arzt- und Therapeutenwahl der Betroffenen quasi abgeschafft, zumindest aber eingeschränkt.
Von Selbstbestimmung ist also auch im IPReG 2.0 bei genauer Betrachtung und Lesen nur wenig zu finden. Eine Schlechterstellung von Betroffenen, die intensivversorgt zu Hause leben ist zu erwarten. Ob diese Version des Entwurfs des Bundesgesundheitsministeriums UN-BRK-gerecht und grundgesetzkonform ist? Die Frage stellt sich bei genauem Studieren der Schrift IPReG 2.0 in jedem Fall.