Oliver Jünke kann nicht sprechen, er äußert sich mit den Augen und einem Sprach-PC. Die Botschaft des ALS-Patienten war aber unmissverständlich – ein Plädoyer fürs Leben trotz aller Einschränkungen.
Von Tina Nitsche
„Das Leben ist doch schön“, sagt Oliver Jünke. Er tut das mit den Augen. Sie flitzen regelrecht über die virtuelle Tastatur des vor ihm stehenden Sprach-PC’s. Für den 48-Jährigen die einzige Möglichkeit der Kommunikation. Denn seine Stimmbänder funktionieren nicht mehr, ebenso wenig kann er sich bewegen. Er ist ALS (Amyotrophe Lateralsklerose)-Betroffener. Angewiesen auf fremde Hilfe und den Rollstuhl. Seit 2012 wird er überdies invasiv beatmet Doch unterkriegen lässt er sich nicht. Im Gegenteil. Er genießt das Leben und er erfüllt sich sogar Träume.
Trotz seiner Krankheit reist er viel. Amerika, Afrika, Australien oder zum Karneval nach Köln. Am Donnerstag ist er auf Einladung des Vereins „Diagnose ALS – was nun?“ nach Ascheberg gereist. Mit seinem Betreuerteam. „Ich habe genügend Zeit mitgebracht“, erklärt er. Über sein Kommunikationsgerät, das er mit den Augen steuert. Im evangelischen Gemeindezentrum ist es voll. Angehörige und ALS-Betroffene haben den Weg dorthin gefunden und lernen einen Mann kennen, der ihnen nicht nur wertvolle Tipps geben kann, sondern ihnen auch Mut macht. Ein Mann, der genau weiß, wovon er spricht, der den Verlauf der tückischen Krankheit bestens kennt, schließlich ist er seit 2005 selbst betroffen. Einer, der vor seiner Krankheit mit beiden Beinen im Leben stand, als Betriebsleiter gearbeitet hat und leidenschaftlich gern gereist ist. Seit 2010 lebt er jenseits der statistischen Lebenserwartung von drei bis fünf Jahren. Allein. Denn seiner Familie wollte er den Verfall seines Körpers nicht zumuten. Mit seiner Krankheit geht Jünke offen um. Auch am Donnerstag verschweigt er nichts. Er erzählt von seinen Ängsten und von seinen Entscheidungen, die er getroffen hat, wie zum Beispiel die der künstlichen Ernährung. Seine Gesichtszüge sind entspannt. Ein Lächeln umspielt seine Lippen. „Trotz 24-Stunden-Beatmung ist das Leben schön und es lässt sich genießen“, sagt er. So einfach ist das für ihn. Weil er es für sich so entschieden hat. „Und weil ich kommunizieren kann“, sagt er. Anders als man es als gesunder Mensch gewöhnt ist. Seine Stimme hat längst versagt. Er kann sich auch nicht einfach zu einem Gesprächspartner umdrehen. Das funktioniert alles nicht mehr.
Schleichender Verfall
► ALS ist eine unheilbare, fortschreitende Erkrankung des Zentralnervensystems.► Betroffene erleben den körperlichen Verfall bei vollem Bewusstsein.► Circa 8000 Betroffene leben derzeit in Deutschland.
Seine Augen ersetzten nun quasi seine Stimme, wenn er mit ihnen den Sprach-PC steuert. Mehr noch, sie sind das Tor zur Welt. „Der Geist ist willig, das Fleisch wird leider schwach“, beschreibt er es fast ein bisschen humoristisch. Er macht deutlich, dass alles in seiner Hand liegt. Jünke hat sich bewusst für lebensverlängernde Maßnahmen entschieden. „Und solange meine Augen funktionieren, ist das Leben lebenswert.“
Sollten sie irgendwann versagen, wird er die für sich passende Entscheidung treffen. Er hat sich umfangreich beraten lassen und eine Patientenverfügung erstellt.
Dazu hat er auch seinen Zuhörern am Donnerstag geraten. Es war ein ungewöhnlicher Nachmittag für die Besucher. Sie haben viel mitgenommen.
Vor allem aber die Erkenntnis, die Jünke ihnen vermittelt hat: „Das Leben ist doch schön – nur die Rahmenbedingungen ändern sich.“
„Und solange meine Augen funktionieren, ist das Leben lebenswert.“
Oliver Jünke