Spahns IPReG Heimzwang scheitert an den Protesten der Betroffenen
… und die Proteste der Betroffenen an der SPD
Heute ist der 2.Juli 2020. Gegen 17 Uhr beginnt im Deutschen Bundestag voraussichtlich mit dem Tagesordnungspunkt 12, die 2. und 3. Lesung des Gesetzes zur Stärkung von intensivpflegerischer Versorgung und medizinischer Rehabilitation in der gesetzlichen Krankenversicherung (Intensivpflege- und Rehabilitationsstärkungsgesetz – GKV-IPReG). Dafür angesetzt sind exakt 35 Minuten. 35 Minuten in denen es 2 (!) Lesungen zu einem Gesetz gibt, das seit dem August 2019 Tausende Menschen in Angst und Schrecken versetzt.
Ein Gesetz, dass der derzeitige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn unter dem Namen RISG veröffentlichte. Ein Gesetz das von Anfang an das schriftliche festgehaltene Ziel hatte Intensivpatienten aus ihren Wohnungen zu entfernen um entweder Kosten zu sparen oder später dann nachjustiert, um die Ressource Pflegekraft aus den Wohnungen der Patienten zurück in die Pflegeheime zu bringen. Allokation nennt sich das Ganze im Gesetzestext.
Ein Gesetz das ganz klar und offen jederzeit gegen geltendes Recht verstieß. Ein Gesetz von dem Jens Spahn bei jeder sich bietenden Gelegenheit sagte: „Nein, niemand muss ins Heim.“ oder „Nein, die Selbstbestimmung wird nicht verletzt.“ Er sagte dies genauso lange bis die ersten Experten die Unwahrheit dieser Aussage öffentlich bekundeten. … Nun ja, wenn man Immunität gegenüber den Strafverfolgungsbehörden besitzt kann man wohl auch leichter solch´ Äußerungen machen.
Die Tausenden betroffenen Menschen in Deutschland rieben sich verwundert die Augen, glaubten an einen Verständnisfehler ihrerseits, konnten es einfach nicht glauben was sie da schwarz auf weiß lasen. Ein Bundesminister möchte ihnen per Gesetz die Grund- und Menschenrechte wegnehmen? Echt jetzt? Weil es Kriminelle gibt, die Abrechnungsbetrug machen? Deswegen Strafmaßnahmen für die Opfer dieses Betruges und nicht für die Täter? Wird mir dann demnächst der Führerschein weggenommen wenn VW wieder betrügt und ich einen Golf fahre?
Es folgten seit dem 18. August öffentliche Proteste – JEDE Woche Freitag in Berlin. Es folgten Demonstrationen in Berlin, in Düsseldorf, in Kassel, in Hannover. Es wurden Tausende Briefe und Mails geschrieben an unsere Politiker quer durch alle Parteien mit der Bitte um Hilfe, um Erklärung. Es wurde eine Petition gestartet die in kürzester Zeit zig Tausend Unterschriften hatte.
Die Resonanz aus der Politik – im besten Fall ernüchternd. KEIN Aufschrei wegen dem Angriff auf das Grundgesetz. Niemand monierte vor den Kameras die Verletzung der UN-Behindertenrechtskonvention die ja in Deutschland geltendes Recht ist. NIX!
NIEMAND von den Unionsparteien und niemand aus den Reihen des Koalitionspartners SPD kam scheinbar auf die Idee dem Herren Spahn einfach mal ein Grundgesetz zu reichen.
Die Wochen und Monate gingen ins Land. Aus dem RISG wurde ein IPReG mal mit „Bestandsschutz“ (ein Versuch die Protestierenden vor dem Gesetz zu schützen) dann wieder ohne. Aus dem IPReG wurde dann das GKV-IPReG. In JEDER Version stand konsequent drin, dass das Recht auf Selbstbestimmung – wie z. Bsp. das Recht auf freie Wohnortwahl – plötzlich an Bedingungen geknüpft ist. An Bedingungen die der Kostenträger auch noch selber bestimmen und kontrollieren kann. Bedingungen die eindeutig ILLEGAL sind. Bedingungen die gegen geltende Gesetze verstoßen. Aber das mit der Immunität erwähnten wir ja bereits.
Es gab kleine Anfragen im Bundestag von den Grünen und den Linken. In beiden Anfragen versuchte man dem Ministerium zu entlocken auf welcher Grundlage man denn dieses Gesetz braucht/benötigt/begründet. Es war erstaunlich wie oft in einem Antwortschreiben gesagt werden kann: „Weitere Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hierzu nicht vor.“
Nun ist er also da, der Gesetzestext der heute beschlossen werden soll. Wobei – eigentlich ist er nicht da. Wir kennen ihn NICHT. Die Abgeordneten kennen ihn NICHT. Die Öffentlichkeit kennt ihn NICHT. Aber irgendwie passt das ja ins Bild. Nachdem Corona begann musste es plötzlich ganz schnell gehen mit der Abstimmung. Praktischerweise konnte man somit verhindern, dass sich die Betroffene Gehör verschaffen konnten. Ebenso praktisch war es, dass man eine öffentliche Anhörung OHNE Öffentlichkeit im Gesundheitsausschuss abhalten konnte.
Transparenz, Beteiligung, Teilhabe, Inklusion – Das braucht ein Jens Spahn nicht. Das stört doch nur.
Nun loben sich seit gestern die CDU und die SPD gegenseitig als Retter der Intensivpatienten. Irgendwie schräg – erst bedrohen und dann gerettet haben wollen vor der selbst geschaffenen Bedrohung. So geht Politik.
Presse Funk und Fernsehen bitten uns nun um ein Statement zum Thema. Am besten eine Presseerklärung zu den Änderungen des geänderten Gesetz. Was uns ja, wie gesagt, nicht vorliegt. Transparenz eben. Beteiligung.
Tja, am besten gefällt uns die Überschrift: Jens Spahn ist an den Betroffenen gescheitert.
Ist aber irgendwie nicht ehrlich. Also: Jens Spahn stolperte über die Proteste der Betroffenen. Der Angriff auf die Selbstbestimmung wurde abgewehrt. Wir haben das Schlimmste verhindert.
Also hier ist dann unser Statement zum dem ganzen beschämenden Theater das gerade im Deutschen Bundestag geschieht:
Berlin, 02.07.2020 ab 17 Uhr
Spahns IPReG Heimzwang scheitert an den Protesten der Betroffenen
… und die Proteste der Betroffenen an der SPD
Die Gesetzentwürfe RISG und GKV-IPReG aus dem von Jens Spahn geführtem Bundesministerium für Gesundheit haben Menschen mit Behinderung und Intensivpflegebedarf 49 Wochen lang in Angst und Schrecken versetzt. Gegen die fehlende Beteiligung der Betroffenen und die fehlende Transparenz im Gesetzgebungsprozess wurde heute noch einmal vor dem Bundestag protestiert.
Der furchtbare und unnötige Angriff auf unsere Selbstbestimmung wurde von uns Betroffenen in vielen Teilen verhindert. Das Gesetz ist dennoch sowohl handwerklich als auch inhaltlich schlecht.
Mit der ursprünglichen Intention, Intensivpflege ausschließlich in stationären Einrichtungen stattfinden zu lassen, ist der Minister am Protest der Betroffenen fulminant gescheitert. Mit Fortbestand alter Fehlanreize wie dem DRG-System und dem Setzen neuer bzw. der Umkehrung von Fehlanreizen nun zugunsten stationärer Versorgung, ist der Anspruch des Gesetzes Wirtschaftsbetrug zukünftig zu verhindern ebenfalls komplett gescheitert.
Der Anspruch, die Qualität der Versorgung intensivpflegebedürftiger Menschen zukünftig besser zu versorgen ist gescheitert. Die bisherigen Prüfinstanzen wie der MD(K) werden ihre Arbeit fortsetzen. Anstatt die Sozialgesetzbücher im Sinne der UN-BRK abzustimmen, werden Intensivpflegebedürftige künftig zwischen deren unterschiedlichen Logiken zerrieben werden.
Die in letzter Minute von der Koalition eingebrachten Änderungsanträge stellen Verbesserungen dar, jedoch hat man sich dagegen entschieden, den Betroffenen mit klaren Formulierungen Rechtssicherheit zu garantieren. „Berechtigte Wünsche“ sind wieder eine „traumhaft unsichere Formulierung“ deren Definition wir hier kurz aus dem SGB IX aufzeigen wollen:
„Berechtigt sind die vom Leistungsberechtigten geäußerten Wünsche dann, wenn ihnen keine Rechtsvorschrift entgegensteht … Inwieweit sich Wünsche des Berechtigten innerhalb des geltenden gesetzlichen Leistungsrechts bewegen, ist i. d. R. auch unter Berücksichtigung … des Wirtschaftlichkeitsgebots zu beurteilen.“ Noch Fragen?
Dass hier kein gutes Gesetz verabschiedet wurde, zeigt die Allianz von Bündnis90/die GRÜNEN, Linke und FDP, die an ihrem Änderungsvorschlag festhielten und dem Gesetz ihre Zustimmung verweigerten.
Es ist furchtbar traurig und beschämend wie hier die Politik der Großen Koalition versucht, den selbst verursachten Fachkräftemangel mit fadenscheinigen Begründungen und mit offenen Verstößen gegen geltendes Recht zu kaschieren. Nichts anderes ist mit dem IPReG gewollt, als Zitat (Begründung Teil b): In Anbetracht des Fachkräftemangels im Pflegebereich bezweckt die Neuregelung auch eine sachgerechte Allokation vorhandener Ressourcen, um nicht zuletzt die besonders aufwändige Versorgung in der eigenen Häuslichkeit des Versicherten weiterhin ermöglichen zu können, ohne die Versorgung anderer Versicherter zu gefährden.
Wir werden nach dem Vorliegen des endgültigen Gesetzestexts weitere juristische Schritte wie z. Bsp. eine Verfassungsbeschwerde, intensiv prüfen und bei Notwendigkeit auch in Angriff nehmen.
ALS-mobil e.V.
Hier wäre dann der Text unserer Erklärung zum Download: